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Guadeloupe – fast eine Katastrophe

Drama auf der Trauminsel

In Guadeloupe leben knapp 400.000 Menschen und ich vermute, dass fast alle von dem Drama wissen, was wir hier erlebt haben. Sogar in Frankreich wurde berichtet. Aber der Reihe nach.

Von Les Saintes segelten wir letzte Woche 20 nm nach Guadeloupe. Da unsere Reiseziele durch C19 stark eingeschränkt und vieles unklar ist, nutzen wir die Gelegenheit uns mehr Zeit für eine unserer Lieblingsinseln in der Karibik zu nehmen. Guadeloupe hat – mit etwas Fantasie – die Form eines Schmetterlings. Der linke Flügel – Basse-Terre – besteht aus Bergen, Regenwald und wilder Natur. Es ist sagenhaft grün und bergig. Der rechte Flügel heißt Grand Terre und ist flacher, heiß und sonnig. Mit den kleinen Inseln rundherum ist alles zusammen eines der abwechslungsreichsten Ziele in der Karibik. Perfekt um die nächsten Corona Entwicklungen abzuwarten.

Die Rivercafe und die Ydalir unserer Freunde Nilla und Anders liegen in der Marina Bas-du-Fort in der Hauptstadt Point-a-Pitre. Wir hatten uns für ein paar Tage ein Mietauto organisiert und wollten max. eine Woche hier bleiben. Es kam mal wieder anders.

Gemeinsam mit unseren schwedischen Freunden machten wir ein paar Touren um die Insel, zuerst über den linken Flügel von Grand-Terre. Die Landschaft ist überall sehr abwechslungsreich. Richtung Saint Francois im Osten liegen fast ununterbrochen Strände nach Norden und Süden. Im Norden, in der Ecke von Anse Bertrand leben wenig Menschen, dort gibt es felsige Cliffs und die anbrandenden Atlantik Wellen und Wind, machen die Landschaft etwas wilder.

Am Mittwoch wollten wir eigentlich gemeinsam zu den Wasserfällen von Carbet, im südlichen Teil von Basse-Terre. Es gibt dort drei spektakuläre Wasserfälle, zwei davon sind nur mit einer wilden Wanderung von um die 2 Stunden zu erreichen. Und damit liegen sie natürlich ziemlich abseits, mitten im Dschungel.

In der Nacht zum Mittwoch hatten wir mal wieder einen Blackout auf dem Schiff und wir brauchten einen Elektriker. Nilla und Anders brachen deshalb alleine auf. Abends, es war schon dunkel, stand Anders plötzlich in Begleitung von 2 Polizisten völlig aufgelöst auf unserem Schiff. “I have lost Nilla”, sprach er verstört. Seine Frau Nilla war verschwunden.

Beim Überqueren einen Flussbetts war sie ausgerutscht und von der Brandung erfasst worden. Starke Regenfälle hatten den normalerweise entspannten Fluss zu einem reißenden Strom gemacht. Nilla war weg und nicht mehr im dicken Bewuchs des Dschungels zu finden. Anders hatte keine Chance zu helfen und machte sich eilig auf den 2-stündigen Rückweg um Hilfe zu rufen. Die Hilfstrupps schafften es nicht, Nilla im verbliebenen Tageslicht zu finden. Es war auch nicht klar, ob sie die Sturz unverletzt und lebend überstanden hatte. Im Flussbett folgten weitere Fälle an deren Ende ein 110 m hoher Wasserfall keine Überlebenschance gelassen hätte. Die Suche wurde beendet und sollte am nächsten Tag fortgesetzt werden.

An diesem Tag wurden 20 Personen im Dschungel vermisst, 17 aber am gleichen Tag wieder gefunden. 3 blieben über Nacht verschollen. Nilla und ein 75-jähriger Großvater mit seiner 5-jährigen Enkelin.

carbet_waterfall
waterfall ahead of Nilla

Diesen Wasserfall (Carbet 2) hatte Nilla vor sich stromabwärts.

sar
Rescue team

Die Suche beginnt

Gleich nach Sonnenaufgang machten sich mehrere Trupps aus 30 Bergsteigern, Tauchern, Feuerwehr und Polizisten auf den langen Weg in das unzugängliche Terrain. Anders hatte die Nacht bei uns an Bord verbracht, zwischen wager Hoffnung und in fester Überzeug, seine Frau verloren zu haben. Es war eine dramatische Nacht.

Um 5.30 h machten wir uns gemeinsam auf den Weg zu den Wasserfällen, um 6.30 h ging die Sonne auf. Wegen starkem Nebels konnten zunächst keine Hubschrauber fliegen und die Strömung und das Hochwasser verhinderten ein Einsatz von Suchhunden. Mit Drohnen suchten die Helfer die unzugänglichen Stellen ab. Alles sehr professionell. Dann fanden die Helfer den Wanderstock von Nilla, am Fuße des zweithöchsten Wasserfalls, 110 m unter der Wasserkante. Ich sah, dass die Jungs die Farbe im Gesicht verloren. Aber den Stock hatte Nilla sicher einfach nur verloren und die Strömung hatte ihn über den Wasserfall geschwemmt.

Wir warteten angespannt, versuchten Anders zu trösten und zu motivieren. Die Zeit kroch dahin. Und dann endlich, um 9.30 h fand ein Suchtrupp Nilla am Flußbett nicht weit entfernt vom großen Wasserfall. Kletterer und Taucher kämpften sich durch das dichte Gestrüpp zu ihr und gaben uns das Zeichen dass sie lebte. Verletzt, aber lebendig. Die kleine tapfere Frau hatte es geschafft, den Sturz und die Nacht zu überstehen.

Wie wir später erfuhren, wurde Nilla nach dem Sturz zwei weitere Fälle um die 10 m Höhe runtergespült und dann waren ihr alle – vermutlich nordischen – Glückgötter hold, denn sie konnte sich an einem ins Wasser hineinragenden Baumstamm festhalten und sich so vor dem tödlichen Sturz über den großen Wasserfall retten. Mit Verletzungen an Arm, Kopf und Beinen zog sich Nilla ein Stück ans Ufer. Ihr war klar, das nachts niemand nach ihr suchen konnte und so motivierte sie sich, die Nacht durchzuhalten.

Mit Tagesanbruch fing sie wieder an zu rufen. Bis die die Suchtrupps sie fanden. Als die Retter sie endlich erreichten, wurde Nilla gesichert und mit einem Hubschrauber aus dem Busch ins Krankenhaus geflogen. Das kleine Mädchen schaffte es nicht und wurde tot geborgen. Der Großvater wurde nach 4 Tagen an der Mündung zum Meer Tod geborgen.

Nilla hörte von den weiteren Vermissten und bekam im Krankenhaus Panik, dass der verschollene Mann Anders sein könnte. Da unser Rückweg ins Krankenhaus natürlich länger dauerte als Nillas Flug, löste sich dies Panik erst, als Nilla Anders endlich sah. Ein filmreifes Wiedersehen, das emotionaler nicht hätte sein können. Zum Glück kein Shakespeare Drama, sonder ein Drama mit happy End.

In dieser Krise haben wir alle unglaubliche Zuneigung und Freundlichkeit gespürt. Anders und Nilla natürlich von Ihrer Familie und Freunden. Aber scheinbar hatte die ganze Insel die Sache verfolgt. Viele Gebete, Gedanken und Zuneigung waren „unüberspürbar“. Die Polizei, Feuerwehr, Kletterer und Taucher – alle machten einen sensationellen Job. Wir waren sehr beeindruckt und berührt, wie mitfühlend, freundlich und liebevoll die Menschen auf Guadeloupe sind. Der Slogan “Wir lieben Guadeloupe”, trifft genau den Nerv.

Nilla konnte das überfüllte Krankenhaus von Point-a-Pitre schnell wieder verlassen, nach die Wunden genäht und die Verletzungen versorgt waren. Anders ist Arzt und mehr Pflege wird vermutlich nicht gehen. Nach einer Nacht bei uns an Bord – ein Kat ist zugänglicher als ein Mono – machten sich die zwei auf den Weg in ein Hotel. Ein paar Tage Erholung und Drama Verarbeitung ist das Beste, was jetzt gehen kann.

Ka und ich machten uns dann am nächsten Tag auf die Wanderung zu diesem Wasserfall. Das war vermutlich eine der härtesten aber auch schönste Hikes, die ich je machte. Aber sicher nichts für Spaziergänger. Das waren fast zwei mal zwei Stunden Anstrengung und richtiger Dschungel. Sensationell. Wer sich mal richtig verausgaben und dabei beeindruckende Natur erleben will, sollte unbedingt mal die Wasserfälle Carbet erwandern. Aber dann bitte nicht abstürzen.

Wir werden noch ein paar Tage in Point-a-Pitre bleiben und uns um die beiden kümmern. Wäre schön, wenn wir noch ein paar einfach nur ereignislose Tage in Guadeloupe hätten.

nilla_ka

Happy end.

Nachlese:

Wir sagen auf diesem Wege allen Danke, die uns geholfen haben. Der Marina Fort-deFrance, vor allem Anémone, dass wir bleiben durften, den unglaublich netten Feuerwehrleuten und Gendarmen, allen Kletterern, Tauchen und Kanuten –  und vielen die uns berichtet haben, sie hätten für Nilla gebetet.

Nilla ist übrigens sehr tapfer. Sie saß während der Gebete im Flussbett, hat nie den Glauben verloren und hat mit Bäumen und Krebsen geredet. /Holger Binz

5 Kommentare zu „Guadeloupe – fast eine Katastrophe“

  1. Hallo Ihr Lieben,
    Ulli hat mir heute morgen beim Frühstück diesen unglaublichen Abenteuer-Krimi vorgelesen und ich war sehr erleichtert, als sie an das Happy-End kam.
    Sie war mit Anne vor einiger Zeit mal auf Guadeloupe und schwärmt immer noch von der Insel. Sie hatten damals auch einen Wasserfall besucht, aber anscheinend einen nicht so spektakulären.
    Das Ihr beide noch mal den Weg gegangen seid – dazu meinte Ulli vorhin nur: „typisch Holger!“.
    😀
    Wir wünschen Euch ein paar entspanntere Tage. Genießt Euch !!!

  2. Hätten wir nicht das Glück gehabt Euch persönlich kennen zu lernen. Dann würde ich beim Lesen und danach wetten das hier ein genialer Autor mit einer dramatischen Geschichte für Guadelope Werbung machen möchte. Unglaublich – und ich ziehe den Hut, das ihr Zwei den Weg später selber noch gegangen seid. Mit der Geschichte im Kleinhirn würden wohl die meisten auf eine eigene Erfahrung verzichten. Jetzt wünschen auch wir Euch ein paar langweilige Tage.
    Liebe Grüße von Teneriffa

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