Hintergründe und ausgewählte Youtube Vlogs
Gibt es etwas Schöneres an einem grauen Wintertag, als den Reisen anderer Segler zu folgen und von türkisen Ankerplätzen zu träumen? In der Vor-Youtube Zeit milderten die Bücher der Segelhelfen Moitessier oder Knox-Johnston das Fernweh in der Off-Season, mit viel Raum für die eigene Fantasie. Heute teilen unzählige Segler Ihre Reisen auf Youtube. Einigen folge ich, vor allem um meine eigene Reise vorzubereiten.
Es gibt hunderte von segelnden Youtubern und deren Kanälen. Die meisten sind überraschend gut, zumindest was die Bildqualität betrifft. Story, Plot und handwerkliches machen den Unterschied. Die mittlerweile erschwingliche Ausstattung mit Kamera(s), Ton, Drohne und Schnittplatz machen es möglich, den Traum eines Lebens als bezahlter Segel Vlogger (Video Blogger) zu träumen.
Wenn man als Segelblogger und Youtuber etwas verdienen will, braucht man Zuschauermassen, über die sich auch VOX oder RTL2 freuen würden. Die Stars der Szene schaffen das locker und bringen es auf über 500.000 Zuschauer pro Clip, die mit einer Länge zwischen 10 und 25 Minuten gut verdaulich sind. Aber auch 20 Minuten Clips müssen produziert werden und das kann je nach Erfahrung und Anspruch 1-3 Tage dauern, für die Aufnahme, Schnitt und Post Production. Als Faustregeln braucht man die 10fache Menge an Filmmaterial (Footage) für einen Beitrag. Je erfahrener, desto weniger – je anspruchsvoller desto mehr.
Um als Youtuber dauerhaft Geld zu verdienen, muss man einiges an Gefolgschaft versammeln. Pi mal Daumen kann man ein bis zwei Euro pro tausend Zuschauer einnehmen. Bei 500.000 Zuschauern kann das interessant werden, falls man nicht Tage mit der Produktion eines Spots verbringen muss. Mit 10.000 Zuschauern ist man noch definitiv Idealist. Es macht aber auch den Charme aus, denn vieles ist improvisiert – auch der motivierteste Youtuber ist kein Scorsese. Wenn man eine Fangemeinde binden will, muss man regelmäßig liefern. Ein Beitrag pro Woche ist üblich und das kann hart werden.
Meine Favoriten sind nicht die reichweitenstarken Abräumer, ich stehe eher auf die Natürlichen. Wie bei allem, ist für viele Geschmäcker etwas dabei, wenn man der englischen Sprache mächtig ist. Die 20 Reichweiten stärksten Segelkanäle sind englisch. Deutsch sprechen ca. 100 Mio., Englischen mehr als die 10-20fache Menschenmenge, das ergibt für Vlogger ein größeres Potential.
Um eine Fangemeinde aufzubauen, gibt viele unterschiedliche Wege. Je besser und anspruchsvoller das Ergebnis umso mehr Zeit kostet die Produktion. Der einfachste Weg für den schnellen Erfolg ist natürlich „schön und sexy“.
Beispiel dafür ist „La Vagabonde“. Das australische Paar Elayna und Riley sind unterwegs auf einer Outremer, die sie in einem Deal dank ihrer Youtube Präsenz günstig geleast haben und sich dafür werblich revanchieren. Über 600.000 Abonnenten folgen den beiden und bis zu 750.000 Zuschauer sehen die Beiträge. Hautthema sind sie selbst, Bikinis und Haut. Gefühlt sind die beiden in 110 % aller Aufnahmen zu sehen und viele Dialoge – vor allem die zahlreichen Monologe – langweilen. Technisch ok, inhaltlich schwach und wenig Substanz für Segler. Nicht auf meiner Watchlist.
Ebenso wenig mein Ding sind die Sailing Doodles, die auch auf sexy setzen – nur um sie zu erwähnen, denn es gibt reichlich Fans. Der Topstar der Segelblogger ist die „Delos“. Karin und Brian sind seit Jahren mit einem Monohull unterwegs und die Berichte aller möglichen Orte der Welt sind interessant und es gibt immer wieder hilfreiche technische Themen. Die beiden produzieren auch sehr sehenswerte Bilder und finden einen guten Mix zwischen Orten und Persönlichem.
„Gone with the Wynns“ sind die zwei langjährigen Youtube Profis Nikki und Jason mit routinierten Auftritten, very american. Die beiden sind seit vielen Jahren Reiseblogger, früher mit einem Wohnmobil in Nordamerika unterwegs. Jetzt segeln sie mit einem älteren Leopard Cat um die Welt. Jason ist Fotograf und das sieht man auch an ausgezeichneten Filmen und richtig guten Drohnenflügen. Bildmäßig sind die zwei ganz vorne dabei. Wenn die Orte interessant sind, ist das auch ganz unterhaltsam. Die Texaner achten sehr auf Ihren Auftritt. Nikki sieht man nie ohne Make-up und ich vermute, die bügeln sogar ihre Klamotten.
Viel natürlicher kommen die Australier der „Millenial Falcon“ daher. Die zwei sind sehr sympathisch und natürlich, schlagen sich aber ständig mit ihrem Monohull herum. Die Aufnahmen sind eher in der homemade Liga, aber das machen sie mit Persönlichkeit und Charme wett. Sie nehmen die Zuschauer mit durch Hochs und Tiefs, so wie im wahren Segelleben, inklusive fluchen und schreien vor Glück. „Starship Friendship“ ist relativ neu unterwegs mit einer (noch) kleinen Follower Gemeinde und die Reise mit dem neuen Lagoon Kat zeigt sympathisch einiges von der Strecke und dem Bordleben. Sehr schön für alle, die eine erste Atlantik Überquerung planen. „Out Chasing Stars“ sind auch Amerikaner, unterwegs seit Jahren mit einem neuen FP Katamaran. Ein bisschen steifer zeigt das Paar viel aus dem Pazifik, die Beiträge sind informativ für Segler. Die Aufnahmen sind auch ganz solide. Ich schaue rein, wenn mich die Orte interessieren.
Steif ist auch „Britican“, eine Britisch/Amerikanische Familie, unterwegs auf einer Oyster. Ein Segler findet detaillierte Details zu Marinas und Ankerplätzen und es sind immer wieder Familienthemen zu sehen, aber seltener die harten Seiten des Segelns. Für meinen Geschmack sind die kommerziellen Absichten wichtiger, als die Lust die Reise zu teilen. Emotionaler ist „Project Atticus“, die auch mal seitlich segeln und die Zuschauer auch einen Einblick in die Tiefpunkte des Segelns erlauben. Ab und zu gibt’s Live Übertragungen.
„WhiteSpotPirates“ ist die Deutsche Einhandseglerin Nike, die sicherheitshalber auch lieber Englisch berichtet. Nike ist der deutsche Beitrag in der Blauwasser Vloggerwelt, denn auch ein deutsches Segelmagazin berichtet regelmäßig über ihre Reise. Nikes Vloggs unterscheiden sich, weil sie sich alleine mit vielen Problemen rumschlägt und viel MacGuyert um ihren ältlichen Monohull flott zu halten.
Meine absoluten Favoriten sind die Kanadier von Sailing Nahoa auf einem Katamaran. Ashley und Ben sind uneitel, nicht gestylt, gut gelaunt und sehr natürlich. Es ist ihnen völlig egal ob die Frisur passt. Die beiden teilen die Orte ihrer Reise wie kaum jemand sonst. Zudem segeln sie oft seitlich der üblichen Routen, zur Zeit im Pazifik. Als Segler findet man bei Nahoa viel Inspiration. Die beiden lassen sich viel einfallen, um großartige Bilder und abwechslungsreiche Stories vorzustellen. Land und Luftaufnahmen zählen für mich zu den besten der Segel Vlogger. Und manchmal schaue ich rein, um mich von der guten Laune anstecken zu lassen.
Es gibt auch die Exoten mit Spezialthemen für wenige Interessierte oder solche, die nur eine begrenzte Zeit unterwegs sind und eher fürs Familienalbum produzieren. Das ist dann Ballast, aber bei Youtube darf ja jeder ran. In der Regel sieht man am Produktionsdatum oder an der geringen Abonnentenzahl, das die Beiträge eher für Oma und Opa zu Hause produziert wurden.
Das ist nur eine kleine, unvollständige Auswahl. Es gibt noch viele weitere Vlogs mit über 100.000 Zuschauern. Darunter Familien mit Kindern, Paare und Einhandsegler, auf kleinen und großen Monos und Kats, mit kleinem und großem Budget. Die Szene ist eindeutig von Amerikanern dominiert. Empirisch nicht valide würde ich behaupten, dass über 90 % der Segel Vlogger nicht von dem Aufwand leben können. Aber Youtube (oder Vimeo) bietet vielen eine Plattform um die Bekanntheit zu erhöhen. Das ermöglicht dann die Teilnahme an Affiliate- oder Mäzen Programmen, die weitere Einnahmen bringen.
Die Youtube Profis wie Delos, Vagabonde oder die Wynns können bestens ihren Lebensunterhalt mit einem Einnahmenmix aus Youtube, Mäzen Programm, Affiliate, Merchandising oder Charter bestreiten. Die drei verstehen sich auch selbst als Internetunternehmer.
Ich finde es bei den meisten Vloggern sehr sympatisch, dass man mit Ihnen kommunizieren kann. Youtube erlaubt Kommentare und viele nutzen dass auch für eine Antwort.
Wenn man also schon an Land rumhängt, kann man auch mal das Fernweh kurz mildern und den Segelkumpels unterwegs mit einem Klick weiterhelfen. Falls Ihr noch weitere sehenswerte Vlogs kennt, freue ich mich über eine Nachricht. / Holger Binz
Youtube Vlogs Übersicht nach Abonnenten (Stand März 2019)
Sailing La Vagabonde 602.121
Sailing Delos 315.000
Gone with the Wynns 228.843
Sailing Uma 100.818
Sailing Doodles 75.787
RAN Sailing 74.388
WhiteSpotPirates 58.960
Sailing Nahoa 49.123
Project Atticus 28.143
Sailing Magic Carpet 19.169
Millenial Falcon 17.662
Out Chasing Stars 16.128
Catamaran Impi 14.184
Sailing Britican 13.568
Ryan&Sophie Sailing 8.265
Sailing Sisu 5.628
Starship Friendship 3.781