Unser letzter Winter in Luxembourg
Es ist grau geworden. Und kalt. Nachts gab`s schon den ersten Frost. Die Bäume haben ihre Blätter abgeworfen und abends wird es Zeit für ein Kaminfeuer und Rotwein. Unsere Fische beginnen den Winterschlaf. Wenn sie wieder in ihrem Teich aufwachen, sind es nicht mehr unsere Fische. Unser letzter europäischer Herbst und Winter ist angebrochen und wir sind voller melancholischer Vorfreude. Was habe ich mich auf diesen letzten Winter gefreut, denn ab da wäre es nur noch ein halbes Jahr. Und da sind wir jetzt. In 28 Wochen beginnt in Kapstadt unser neues Leben.
830 Tage vor dem Tag x – der Übernahme der Rivercafe in Kapstadt – fing ich an zu zählen. Es erschien endlos aber jetzt steht die Zahl 200 im Dampf meiner Dusche. Es scheint als vergehe die Zeit plötzlich schneller. Manche Freude denken sogar, wir seien schon weg. An einigen Tagen fühlt es sich auch so an, in Gedanken sowieso. Das ist also der Endspurt.
In den letzten 100 Tagen seit meinem 300 Tage Bericht ist viel geschehen und wir haben wir einiges erledigt.
Wir waren mit Freunden im Mittelmeer segeln und konnten uns einen Hauch unseres zukünftigen Lebens in Erinnerung bringen. Andere Segelfreunde trafen wir zufällig. Wenn du in Frankreich auf Freunde aus Australien und Kalifornien triffst, deren Schiff in Guatemala liegt, dann fühlst Du dich mit den Seglern der Welt verbunden.
Es ist jetzt über 1.5 Jahre her, seit wir den Kaufvertrag für unsere Leopard unterschrieben haben. In der Zwischenzeit waren auch andere Kat Bauer emsig und haben neue Modelle vorgestellt: Fountain Pajot die Elba, Beneteau die Excel und Lagoon die neue 46. Nachdem wir die Schiffe auf der Boatshow in Cannes sehen konnten, können wir sehr zufrieden feststellen, dass wir keine Kaufreue empfinden. Die neuen Katmodelle habe uns nicht im geringsten zum Schwanken gebracht. Also keine kalten Füße vor der Hochzeit. Wir sind auch happy, dass wir eine der letzten 45er Leopards in der Performance Version bekommen. Die neuen haben eine weitere Lounge auf dem Oberdeck, was nach meiner Meinung für Kleingärtner oder Kneipenbetreiber geeignet ist. Oder für einen Pizzaservice.
In den letzten 100 Tagen haben wir uns auf unsere Fitness und Gesundheit konzentriert und uns weiter gebildet. Ka ist so fit wie nie und ich habe schon erwogen, die Elektrowinschen abzubestellen. Ein fitter Körper ist die beste Krankheitsprävention. Der Geist genest dann auf der Reise. Unsere medizinischen Kenntnisse haben wir auf einem tollen Seminar der Seadocs aus Hamburg verbessert. Von unserer letzten Reise wussten wir schon ein wenig über Medizin an Bord, vor allen Dr. h. c. Ka, die Retterin meiner Hand. Aber wer lässt es sich nehmen Hühner zu nähen oder Spritzen in die Arme anderer Lehrgangsteilnehmer zu setzen?
A propos Krankenversicherung – elegante Überleitung: ich habe mit unserer einmalig bürokratischen Krankenversicherung aufgegeben. Ich folge dem Rat von Ka und teile nicht mit Euch meine Beschimpfungen, die durchaus wohl formuliert waren, wenn auch nicht jugendfrei. Also suchen wir uns was im Ausland.
Wir haben auch ein paar Ursachen eines früheren Versterbens beseitig – wir haben uns gegen Gelbfieber und noch anderes Zeugs impfen lassen, was die Lebenszeit in den tropischen Regionen unerfreulich verkürzen kann. Zudem gibt es Länder, die Impfungen bei der Einreise vorschreiben. Ich kenne Segler, die tagelang in Kolumbien wegen einer Gelbfieberimpfung rumgelaufen sind ohne die sich nicht in Fidji hätten einreisen dürfen.
Anfang des Jahres werden wir auch unseren Reisepässe auffrischen, die bei uns in Luxembourg nur 5 Jahre gültig sind. Damit können wir auch wieder frische VISA für die USA und andere Ländern anfordern.
Und wenn wir beim Thema auffrischen sind: meine technischen Fähigkeiten für die Bordtechnik habe ich in Seminaren weiter verbessert. Ich werde vermutlich nie an die technische Brillanz von Duncan, Garry oder Hermann herankommen, aber ich versuche mein Bestes – und es gibt ganz gute Seminare für Segler zur Technik an Bord.
Und noch eine schöne Erfahrung der letzten 100 Tage: das seid ihr, unsere Leser. Wir sind überwältigt, wie viele Leser wir dazu gewonnen haben. Und immer öfter melden sich Leute und wir tauschen uns zu unterschiedlichen Themen aus. Das freut uns. Einige haben wir auch schon persönlich betroffen und Weisheiten über Schiffe und Törns geteilt.
Auf unserer to-do Liste stand auch noch viel zur Abwicklung. Job und Privates. Ich durfte lernen, dass sogar auf eBay Kleinanzeigen Internetbetrüger unterwegs sind. Sind Menschen wirklich so dämlich? Einen Tisch nach Nigeria schicken? Und den „Spediteur“ bezahlen? Ernsthaft?
In unserem Haus gibt’s nur noch eine Lieferrichtung, nach draußen. Das gilt auch für meinen Kleiderbestand. Als Konsument bin ich jetzt offiziell ein Ausfall. 60 Kleidungsstücke kaufen Menschen unseres Lebensraums im Jahr. Es tut mir von Herzen leid, dass meinetwegen einer 115 Kleidungsstücke kaufen muss um mich zu kompensieren. Ich spare aber mehrfach 9.000 Liter Wasser, die man für die Herstellung einer Jeans braucht.
Während sich nun das Jahr wie immer grau, nass und kalt seinem Ende zuneigt, denke ich oft an die Segler, die jetzt auf dem Weg in die Karibik sind. Mit der ARC, der „Iles du Soleil“ oder alleine. An die Crews, die fleißig auf den Kanaren und Kapverden proviantieren – auf dem Atlantik segeln oder schon Land riechen. Sie sind voller Vorfreude und Unsicherheit, ob der vor Ihrem Bug liegenden Abenteuer. Manche haben nur Zeit für ein Crossing, andere gehen für ein Jahr oder länger. Für die Meisten wird es fantastisch. Ich kenne Leute, die ihr Crossing mit der ARC im nächsten Jahr vorbereiten. Welch eine Herausforderung und Mut, großartige Entscheidung.
Es ist die letzte Crossing Saison ohne uns. In der nächsten werden wir dabei sein, auf dem fast 6.000 nm langen Weg von Kapstadt in die Karibik. Der nächste Winter wird nicht mehr grau und nass, sondern warm und sonnig. In Barbados hat es 24 Grad – um Mitternacht. Ich werde bald unseren letzten Weihnachtsbaum kaufen und wir werden das letzte Silvester mit Freunden in der zukünftigen Ex-Heimat feiern. Das folgende Silvester wird karibisch und wir sind freudig gespannt zu sehen, wer unserer Freunde sich dann auf den Weg zu uns macht.
Ich kann es kaum abwarten, endlich wieder alle Tage in Shorts zu verbringen und die Sonne zu genießen. Ich freue mich auf Inseln und Freunde, mit denen wir eine gute Zeit haben werden. /Holger Binz